Stromausfall-Szenario (ab Tag 4): Die Situation eskaliert endgültig

Tag 4 und folgende - Die Situation eskaliert endgültig

Das Rote Kreuz, das THW (Technisches Hilfswerk) und die Bundeswehr bemühen sich, die Bevölkerung in Suppenküchen mit den Notreserven der Bundesregierung zu versorgen, die unter Hochsicherheitsbedingungen von den Einsatzkräften gegen Überfälle geschützt werden - so lauteten zumindest die Radiodurchsagen. Doch unter den jetzt realen Bedingungen passiert nichts dergleichen, da die Situation nicht kontrollierbar und eine flächendeckende Versorgung logistisch überhaupt nicht machbar ist. Es fehlt an Energie zum Kochen und ehrenamtlichen Helfern; ja selbst die staatlichen Einsatzkräfte sind nicht in der Lage oder willens, diesen Aufwand zu betreiben, da sie zuhauf schon nicht mehr zum Dienst erscheinen - nicht zuletzt deshalb, weil die allermeisten von ihnen selbst eine Familie haben und dringend zuhause gebraucht werden.
Es gibt keinerlei frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Tierisches mehr. Bauernhöfe, welche noch Lebensmittel bereitstellen könnten, wurden durch die Staatsmacht oder durch Plünderer enteignet. Banden bilden sich und ziehen durch die Strassen. Mitglieder der organisierten Kriminalität übernehmen vielerorts die Rolle der Polizei. Es kommt vermehrt zu Auseinandersetzungen mit den verbliebenen Polizisten. Auch die Rettungskräfte fallen nun nach und nach aus und kümmern sich zunehmend um ihre persönlichen Belange. Allzu grossen Unterschied macht das an diesem Punkt aber ohnehin nicht mehr, da sich die Treibstoffreserven für die Einsatzfahrzeuge sowieso dem Ende zuneigen.
Die Verzweiflung treibt Menschen immer mehr dazu, in geschlossenen Räumen mit Gaskochern oder anderen offenen Feuern zu hantieren, um die letzten Lebensmittelvorräte durch Kochen geniessbar zu machen und somit den Hunger stillen zu können. Die psychische und körperliche Überlastung sorgt für Fahrlässigkeit im Umgang mit derartigen Gefahrenquellen. Dadurch verursachte Feuer breiten sich zu Grossbränden aus, welche ganze Häuserblocks vernichten. Die total überlastete und zum Teil auch nicht mehr länger einsatzfähige Feuerwehr kommt häufig zu spät oder sie kommt gar nicht. Eine immense Zahl an Menschen leidet mittlerweile an ernsthaften, wenn nicht gar lebensbedrohlichen Erkrankungen - sei es durch nicht zur Verfügung stehende Medikamente, von denen sie eine Abhängigkeit entwickelt haben, durch unbehandelte Unfallverletzungen, durch die zunehmend schlechten hygienischen Bedingungen, Flüssigkeitsmangel, soziale Isolation, psychische Belastung, Todesangst oder häusliche Gewalt. Auch beginnt die Suizidrate rapide zu steigen, da viele den Kampf gegen den Stress, Druck und die Angst nicht gewinnen konnten oder einfach weil bereits Suizidgefährdeten diese Umstände den letzten Rest gegeben haben.

Dramatische Szenen

Dass Rolltreppen oder automatische Schiebetüren der zahlreichen Läden plötzlich funktionsunfähig sind, stellt kein allzu grosses Problem dar. Die Türen beispielsweise lassen sich noch manuell öffnen bzw. stehen Notausgänge zur Verfügung - niemand muss im Supermarkt eingesperrt bleiben. Für die in Aufzügen feststeckenden Menschen, deren Anzahl nicht unterschätzen ist, erweist sich der Stromausfall jedoch als sehr viel grösseres Problem. Die Feuerwehr rückt zwar aus und kann auch einige von ihnen retten, doch stellt die schiere Masse der auf ihre Befreiung Wartenden eine kaum lösbare Aufgabe dar und das auch allein schon deshalb, da die Eingesperrten keine Notrufe absetzen können und folglich niemand genau weiss, wer in welchem Aufzug feststeckt. Ohne Flüssigkeit und eine Frischluftzufuhr entpuppt sich das zunächst nur unerfreuliche Ereignis für die Festsitzenden schnell als ein Kampf auf Leben und Tod - erst recht, wenn man sich den ohnehin stark begrenzten Platz mit eher egozentrischen und oder von Panik und Platzangst geplagten Zeitgenossen teilen muss. Aber die Dramen, die sich in den Aufzügen abspielen sind nur einzelne unter vielen - überall brauchen die Menschen Hilfe und stellen die Rettungskräfte damit vor eine organisatorische und logistische Herausforderung, die eigentlich nicht zu bewältigen ist. Die städtischen Kulissen werden innerhalb kürzester Zeit von Blaulicht und Sirenen der Fahrzeuge von Feuerwehr, Rettungsdienst, Polizei und THW geprägt sein. Bei einem Stromausfall enormen Ausmasses dürfte sich in diese Auflistung auch zügig die Bundeswehr einreihen.

Totales Chaos

Züge und Bahnen bleiben irgendwo auf halber Strecke liegen. Tausende müssen evakuiert und irgendwie versorgt bzw. logistisch verteilt werden, erst recht und umso dringlicher, wenn das Szenario von kalten Temperaturen begleitet wird. Man stelle sich alleine das unmittelbare emotionale Leid und die Familiendramen vor, hervorgerufen durch die von jetzt auf gleich eintretende Unmöglichkeit zur Kommunikation und die Ungewissheit über den genauen Aufenthaltsort bzw. bei länger anhaltendem Stromausfall den Verbleib seiner Angehörigen: Eltern vermissen ihre Kinder, Liebespaare und Freunde sich gegenseitig usw. Niemand kann mehr einen Notruf bei den Einsatzkräften absetzen. Kleinkinder befinden sich im Kindergarten, Kinder und Jugendliche in der Schule, beim Sportverein, bei Freunden. Nicht zu vergessen sind auch die hunderttausenden Menschen auf Urlaubs- oder Betriebsreisen fernab der Heimat, ohne familiäres oder anderweitiges zwischenmenschliches Netz am derzeitigen Aufenthaltsort, ohne tiefgreifende Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, meist nur mit dem Nötigsten für die jeweilige Reiseabsicht ausgestattet und die Lebensmittelversorgung erst recht nur spontan und «just in time» durch Supermarkt-Einkäufe, in Restaurants oder Hotels beziehend. Die meisten dürfte in einer solchen Situation totale Hilflosigkeit ereilen.
Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen sind mit Notstromaggregaten ausgestattet, doch auch diese haben eine sehr begrenzte Laufzeit und die Nachbelieferung mit für den Betrieb benötigtem Diesel gestaltet sich bei einem grossflächigen Blackout mit Sicherheit deutlich kritischer als vorher logistisch durchgeplant, da es dann überall «brennt», und nicht nur im entsprechenden Krankenhaus XY. Schon nach etwa einem Tag ohne Strom würde die angemessene Versorgung aller Patienten kaum noch aufrechterhalten werden können, nicht zuletzt, da vermutlich der Andrang neuer Patienten unter solchen Bedingungen exorbitant hoch wäre. Arztpraxen, Apotheken, Altenheime und Dialysezentren verfügen nur selten über eine Notstromversorgung und würden sowieso ausfallen. Zudem ist fraglich, wie zu dem Zeitpunkt nicht im Dienst befindliches Krankenhauspersonal zwecks Unterstützung zur Arbeitsstelle gelangt, wenn es sich nicht ohnehin entscheidet, zu Hause zu bleiben.
Flughäfen können den Betrieb noch einige Stunden aufrechterhalten, doch schon nach ein bis zwei Tagen geht praktisch nichts mehr. Die hiesigen Menschen verlassen zuerst die Terminals und treten den Rückweg an, alle auf den Heimflug Wartenden stehen vor grossen Problemen. Ankommende Flüge gibt es nicht mehr, da diese über die Situation am Zielort informiert wurden.
Im urbanen Gebiet stellen die Abwasser- und Müllentsorgung eine grosse Herausforderung dar. Vor allem jedoch die Belastung durch Fäkalien erweist sich als grosse Bedrohung. Die Notdurft von Zehn-, Hunderttausenden oder gar Millionen Menschen abzutransportieren wird sich schnell als ein unmögliches Unterfangen erweisen und nicht nur zu einer unerträglichen (Geruchs-)Kulisse führen, sondern auch handfeste, um nicht zu sagen lebensbedrohliche Gesundheitsrisiken herbeiführen. Ausserdem stellt der kaum zu bewältigende Abtransport der durch die Krise erhöhten Anzahl von Verstorbenen aus Krankenhäusern, Pflegeheimen, Privatwohnungen und Unfallorten sämtlicher Art die Menschen vor eine riesige Herausforderung. Teilweise werden die Verstorbenen auf eigene Faust verbuddelt oder verbrannt, andernorts sorgen diese Umstände für unerträgliche Lebensbedingungen und führen zu Krankheitsfällen oder der Verschmutzung von Grundwasserreservoirs. Vor allem die urbanen Gebiete, wo Hunderttausende, teilweise Millionen von Menschen auf engstem Raum leben, trifft dies empfindlich.

Reset ganzer Wirtschaftszweige

Wenn die Schmelzöfen der Stahlwerke und ähnlicher Gewerbe für eine gewisse Zeit kalt bleiben, führt dies zu irreparablen Schäden und der nachhaltigen Zerstörung ganzer Industriezweige. In der Landwirtschaft zeigt sich ähnlich destruktives: Heranwachsende Küken sterben aufgrund erloschener Infrarotlampen, automatische Futtersysteme für Nutztiere fallen aus, die kaum durch Handarbeit ersetzt werden können, Milchkühe verenden nach wenigen Tagen qualvoll, da sie nicht mehr gemolken werden können, was normalerweise automatisierte Gerätschaften erledigen. Nahezu alle Tiere in Massenhaltung werden in kürzester Zeit aufgrund von Wasser- und Futtermangel oder wegen ausgefallener Lüftungen verenden. Den Zootieren wird es ähnlich ergehen, da die Pfleger wohl Besseres zu tun haben werden, als nach mehreren Tagen ohne Strom noch Tiere zu füttern. Sämtliche Kühl- und Lieferketten, egal ob für tierische oder pflanzliche Lebensmittel, brechen zusammen. Was das für die Versorgung der Menschen bedeutet, auch nachdem die Stromversorgung wieder hergestellt werden konnte, dürfte man annähernd absehen können.

Um Leben und Tod

Vor dem Hintergrund eines solchen Szenarios ist es nicht übertrieben zu behaupten, dass es bereits nach wenigen Tagen zu Raub, Mord und Totschlag - also kurzum zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen - kommen dürfte. Nicht nur Unbekannte sondern auch Nachbarn, Freunde und Familienangehörige werden sich gegenseitig beklauen und sich noch Schlimmeres antun, da es die überwältigende Zahl der Menschen unvorbereitet treffen und es somit schnell um das nackte Überleben gehen wird. Diejenigen weitsichtigen und intelligenten Bürger, die Vorbereitungen für den Tag X getroffen haben, wünschen sich nun, in ihrer nächsten Umgebung nicht so sehr mit diesem Fakt hausieren gegangen zu sein. Denn nun erkennen sie, dass sie sich damit eine riesige Zielscheibe aufgemalt haben und sehen sich zwar nicht mit Nahrungsmangel, dafür aber mit ganz anderen Problemen konfrontiert. Für viele mag das zwar unvorstellbar sein, aber auch die Staatsdiener werden ihre Waffen, je nachdem wie gravierend die Lage ist, früher oder später missbrauchen, um selbst an Lebensnotwendiges zu gelangen und der eigenen Familie das Überleben zu sichern. Spätestens dann wird man von dem Eintritt eines allumfassenden Chaos sprechen können, welches eine unvorstellbare Menge an Opfern und eine nachhaltige Zerstörung auf sämtlichen Ebenen hinterlassen wird.
Aus dem Artikel «Szenario: Was Deutschland bei einem tagelangen landesweiten Blackout erwartet» aus der Ausgabe 47: Energie(w)ende
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